Denn die EZB leitet einen Zinssenkungszyklus noch vor der amerikanischen Fed ein. Das war bei den Zinsanhebungen umgekehrt, sodass der Eindruck entstanden ist, die Fed lege einen höheren Wert auf Inflationsbekämpfung. Zudem fällt auf, dass die EZB ihr Ziel der Inflationsbekämpfung deutlich verfehlt hat. Offenbar war aber der Druck der Südländer bestimmend, der darbenden Konjunktur im Euro-Raum einen Zinsimpuls zu verleihen. Jedenfalls ließen sich die Notenbankpräsidenten Frankreichs und Italiens mit entsprechenden Forderungen in der Presse vernehmen. Dabei scheren sich die Südländer nicht weiter um das Mandat der EZB. Dieses besteht ausschließlich in der Gewährleistung von Geldwertstabilität. Aber ähnlich wie beim Vertrag von Maastricht werden solche gemeinsam beschlossene Prinzipien schlichtweg ignoriert. Hier liegt auch einer der Gründe dafür, dass der Euro keine zweite D-Mark geworden ist. Vielmehr ist der Euro – nüchtern betrachtet – die Währung eines strukturell nur gering wachsenden heterogenen Wirtschaftsraums mit erstaunlich hoher Inflation. An die hehren Versprechungen einer unabhängigen Zentralbank glaubt kaum noch jemand angesichts der bei der EZB betriebenen Personalpolitik und der offenbaren Notwendigkeit, die Notenbank als Helfer bei Konjunktur und Staatsfinanzierung zu verwenden.
Zu den Auffälligkeiten der EZB-Politik zählt auch die Weigerung, das riesige Portfolio aus Anleihen zügig abzuverkaufen und den Marktkräften die Findung des Langfristzinssatzes zu überlassen. Stattdessen ist die EZB seit ihren beispiellosen Anleiheaufkäufen der größte Marktteilnehmer am europäischen Bond-Markt. Wer darin einen Dauerzustand befürchtet, dürfte auf der richtigen Seite liegen. Zu groß sind die Notwendigkeiten der allesamt hochverschuldeten Mitgliedsstaaten.
Der neue Einlagenzins in Höhe von 3,75 % liegt noch über der aktuellen Geldentwertungsrate. Die Inflation in der Eurozone lag zuletzt bei 2,6 %. Dieser Wert liegt 30 % oberhalb des kommunizierten Zielwertes in Höhe von 2 %. Spannender ist es am langen Ende der Zinsstrukturkurve. Dort haben sich in den letzten Wochen markante Verschiebungen eingestellt. Geschrumpft ist etwa die Differenz zwischen zehnjährigen amerikanischen und deutschen Staatsanleihen. Mindestens so spannend ist der auf ca. 1 % zusammengeschmolzene Zins-Spread deutscher zu griechischen Staatspapieren. Offenbar sind dem Kapitalmarkt die inzwischen mehrjährigen Konsolidierungsbemühungen in Hellas nicht entgangen. Das Land zahlt heute geringere Zinsen als Italien.
Auch an den Währungsmärkten macht sich die Leitzinssenkung in der Euro-Zone bemerkbar. Der US-Dollar erhielt angesichts der höheren Kurzfristzinsen in den USA Auftrieb. Manches spricht dafür, dass eine weitere Schwächung des Euro im Interesse der Europäischen Zentralbank liegt. Immerhin hat die Abwertung der eigenen Währung in den meisten Ländern der Euro-Zone eine lange Tradition. Gleichzeitig sorgt ein schwächerer Euro für höhere Importpreise, nicht zuletzt bei Energie, einer Achillesferse der Euro-Zone.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns