Beide Kandidaten sind fast achtzig Jahre alt und mögen damit den Trend zur ‚Senilisierung‘ in der westlichen Welt versinnbildlichen. In den USA spielt die Person der Kandidaten stets eine herausgehobene Rolle. Der Eindruck ist wohl nicht falsch, dass sich dieser Befund im Internetzeitalter der Tendenz nach eher verstärkt hat. Immerhin kann es in amerikanischen Wahlkämpfen unterhaltsam zugehen, sofern man an Polemik und Schlammschlacht Freude hat. Auf diesem Gebiet dürfte Donald Trump, der ansonsten für öffentliche Ämter charakterlich ungeeignet ist, einen Vorteil gegenüber Joe Biden besitzen. Seine Beleidigungs- und Verunglimpfungsorgien sind berüchtigt. Von Rücksichten auf Fakten und Wahrheiten lässt er sich dabei nicht lange irritieren. Eine feste Gefolgschaft von ca. 40% der Wähler dürfte ihm jedoch sicher sein. Für einen Sieg reicht das aber nicht aus.
Trotz des antiquierten US-Wahlsystem mit seinem Electoral Collage kommt es für Trump entscheidend darauf an, die Wahlmänner in den umkämpften Staaten wie z.B. Florida, Ohio und Wisconsin auf seine Seite zu ziehen. Fraglich ist jedoch, ob Trump zusätzliche Wähler gegenüber der Wahl von 2016 mobilisieren kann, denn seine Präsidentschaft hat die USA keineswegs auf die satten Wiesen geführt, die Trump verhießen hatte. Im Gegenteil: Im vierten Jahr seiner Amtszeit erleben die USA unter Trump die größte Wirtschaftskrise seit fast 100 Jahren. Und noch nie hat es so viele zivile Tote in der Amtszeit eines US-Präsidenten gegeben wie unter Trump. Die Corona-Pandemie hat Trumps Plan verhindert, als strahlender Wirtschaftskapitän Amerikas eine Ära ungekannter neuer Großartigkeit betreten zu haben. Stattdessen beherrschen Massenarbeitslosigkeit, Armut und Gewalt die täglichen Schlagzeilen. Sollte es Trump gelingen, traditionelle Wahlkampfklassiker wie Abtreibung, Einwanderung, Waffenrecht, Steuersenkungen und Todesstrafe stärker in den Mittelpunkt seiner Kampagne zu rücken, so würden seine Chancen steigen.
Genau dies will Joe Biden verhindern, der einen unscheinbaren Wahlkampf führt und mit den Themen Gesundheits- und Gesellschaftspolitik punkten möchte. Dabei gibt er sich erkennbar Mühe, weibliche Wähler und Minderheiten zu umgarnen. Wenngleich es ihm etwas an Charisma gebricht, verkauft er sich als solider, ehrlicher, erfahrener und empathischer Staatsmann. Mitunter kann er sein fortgeschrittenes Alter und die damit einhergehende Mühsal nicht verheimlichen.
Für den Rest der Welt dürfte die US-Wahl eminente Bedeutung besitzen. Denn unter Donald Trump wurden die Beziehungen zu den Verbündeten einigermaßen zerrüttet. Ob die Staaten Westeuropas Zeit haben, weitere vier Amtsjahre Trumps auszusitzen ist fraglich. Mit nicht geringeren Sorgen blicken die asiatischen Bündnispartner der USA - Japan und Südkorea - auf den anstehenden Urnengang. Der Zirkus um Trumps Freundschaft mit Kim Jong-un und die Handelsattacken auf Japan haben einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Niemand aber wird die Wahl aufmerksamer verfolgen als China. Durch Trumps unilateralen Handelskrieg mit dem Reich der Mitte ist das Verhältnis beider Rivalen auf einen Tiefpunkt gefallen. Für die Welt wird es in den kommenden Jahren sehr bedeutsam sein, wie sich diese beiden Supermächte ins Benehmen setzen.
Immerhin gab das erste Fernseh-Duell der Herren Trump und Biden ein treffendes Sittengemälde des Landes ab. Um die politische Kultur steht es offenbar nicht zu Best. Während aber die politische Kultur der USA einen Tiefpunkt erlebt, schwingt sich der Nasdaq-Index zu neuen Rekorden auf. An der amerikanischen Börse wurde der Wahlkampf bislang weitgehend ignoriert. Allein dies kann sich an Finanzmärkten bekanntlich rasch ändern. Für wirtschaftlich interessierte Beobachter war es obendrein erstaunlich, wie wenig die Themen Verschuldung und Militärausgaben im Wahlkampf eine Rolle spielen. Gewiss ist, dass der Oktober uns manche Überraschung liefern kann.
Ihre
Fondsmanager und Mitinvestoren
Dr. Christoph Bruns Ufuk Boydak
Chicago, Frankfurt a.M. am 30.09.2020