Seit Jahresanfang hat der Nasdaq-Index bereits knapp 20% auf der Uhr. Die großen Internet-Unternehmen Google, Facebook, Amazon, Apple und Netflix gehören einmal mehr zu den großen Gewinnern. Aber auch Microsoft, Paypal, Gilead, Thermo Fisher und viele andere wissen zu glänzen.
‚Momentum‘ und ‚Relative Stärke‘-Strategien gewinnen angesichts der Erfolge der letzten Jahre stets neue Anhänger. Gleiches gilt für die Charttechnik, die im Kern auf eine Fortsetzung von bestehenden Trends setzt. Selbst professionelle Anleger schwenken um, pfeifen auf Bewertungen und geben trotzig zum Besten, es handele sich bei den genannten Superaktien bei rechtem Lichte betrachtet nachgerade um Value-Aktien.
So ist etwa alles eine Frage der Definition? Klar ist jedenfalls, dass der Nestor erfolgreichen Investierens – Warren Buffett – inzwischen nur milde belächelt wird. Dessen jüngster Zukauf von Erdgastanks und Pipelines wurde tendenziell mit runzelnder Stirn vermerkt. Wie bereits zum Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts heißt es mehr oder minder unverhohlen, das Orakel von Omaha verstehe die neue Investmentwelt nicht mehr. Nun ja, die Investmentlegende aus Nebraska wird es verschmerzen, schließlich ist es nicht das erste Mal, dass sein Anlagestil an Popularität verliert. Freilich muss sich jetzt zeigen, ob sein Diktum noch Bestand hat, demzufolge die Börsenkurse die Wirtschaft nicht dauerhaft weit hinter sich lassen können. Bei dem Autobauer Tesla scheint das aber der Fall zu sein. Der mit Abstand wertvollste Fahrzeughersteller der Welt befindet sich auf der Überholspur und konnte im bisherigen Jahresverlauf bereits um mehr als 300% zulegen.
Im Übrigen gibt es aber durchaus überzeugende Gründe für die Erholungstendenzen der großen Aktienindizes. Erstens pumpen die Notenbanken ohne Begrenzung Liquidität in den Markt. Weil aber Zinsanlagen angesichts der Niedrigzinspolitik eben dieser Notenbanken völlig unattraktiv sind, findet ein nicht geringer Teil des gedruckten Geldes den Weg in die liquiden Technologieaktien. Zweitens sorgt der seit Jahren beobachtbare ETF-Trend dafür, dass Gelder ohne weitere Analyse in die großen Indexfonds fließen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung nimmt also ihren Lauf. Drittens sind die meisten Kapitalsammelstellen unterinvestiert in Aktien. Dafür geben sie gerne regulatorische Gründe an. Offenkundig ist aber, dass die Asset Allokation tendenziell in Richtung Aktien geht und damit den Markt befeuert. Viertens wächst in Amerika eine jüngere Generation von Börsianern heran, die sehr internetaffin ist, mit Videospielen sozialisiert wurde und gebührenfrei auf Handelsplattformen wie Robin Hood rege am Börsenhandel teilnimmt. Fünftens besteht die Aussicht auf Aktienkäufe durch die Notenbanken selber. Während sich Fed und EZB auf diesem Feld bisher zieren, sind die Bank von Japan und die Schweizerische Nationalbank hier schon wesentlich weiter. Daran sieht man, dass die Zentralbanken das Ende ihrer Gelddruckmöglichkeiten noch keineswegs ausgeschöpft haben.
Derweil erreichen uns aus der Wirtschaft in diesen Tagen eher ernüchternde Meldungen. Von einer V-förmigen Wirtschaftserholung haben nahezu alle Auguren Abstand genommen. Stattdessen wird die größte Kontraktion der Wirtschaftsleistung seit der großen Depression bzw. seit dem zweiten Weltkrieg erwartet. Von einer raschen Rückkehr zum Status Quo ante spricht niemand mehr, wohl aber von einer mehrjährigen Rezession. Für die Unternehmensgewinne kann das keine gute Botschaft sein, wiewohl die Börse aktuell darauf wettet, dass die großen Nasdaq-Aktien dagegen weitgehend immun sein werden. Das wird auch wichtig sein, um Kurs-Gewinn-Verhältnisse von 40 für dieses Jahr und 30 für 2021 zu rechtfertigen. Auf die jetzt beginnende Quartalsberichtssaison darf man sehr gespannt sein.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns